aus Wipperfürth (Deutschland)
Beidseitig implantiert
Cochlea-Implantatbenutzer
Krankheit
EDV-Expertin
Tina Wilsinger, geboren 1971 in Wipperfürth, verheiratet und Mutter zweier Kinder, hatte keinerlei Hörbeeinträchtigungen, bis sie nach einer Chemotherapie mit einer Sepsis, einer Hirnhautentzündung und weiteren lebensbedrohlichen Ausfällen im Jahr 2015 acht Wochen lang im Koma lag. Danach musste sie das Leben wieder von vorne lernen: die Hände und Beine benutzen, stehen, gehen, essen usw.
Alle Körperfunktionen kamen nach und nach durch intensives Training bei der Rehabilitation wieder zurück, nur das Hören stellte sich nicht wieder ein. Tina Wilsinger war auf beiden Ohren ertaubt und es war fraglich, ob sie ihre Hörfähigkeit je wieder zurückerlangen würde. Man entschloss sich zu einer beidseitigen Cochlea-Implantation, die sehr erfolgreich verlief. Heute steht Tina Wilsinger wieder mitten im Leben, kümmert sich um ihre Familie, kann wieder Autofahren und arbeitet wieder stundenweise als EDV-Expertin. Auch ihre engsten Angehörigen und sie selbst vergessen mitunter, dass sie eigentlich gehörlos ist.
Erfahrungsbericht Tina
Tina, wie kam es zum Verlust deiner Hörfähigkeit?
Die Ursache ist nicht genau bekannt. Eine Chemotherapie im Jahr 2014 oder eine Autoimmunerkrankung könnten die Ursachen sein. Neben dem schnellen Hörverlust über ein gutes halbes Jahr versagte mein ganzes Immunsystem und es kam zu weiteren lebensbedrohlichen Ausfällen. Ende 2015 fiel ich mit einer Hirnhautentzündung und Sepsis in ein achtwöchiges Koma und erwachte völlig ertaubt an beiden Ohren.
Wie erlebtest du die Zeit nach dem Koma?
Nach dem Erwachen aus dem Koma lag ich in meinem Bett im Krankenhaus und starrte auf die weiße Wand. Zwar bekam ich Besuch von Angehörigen, PflegerInnen und ÄrztInnen, aber ich fühlte mich dennoch von der Welt ausgeschlossen. Meine Taubheit fühlte sich an wie Watte auf den Ohren. Die Leute haben mir aufs Handy gesprochen, sodass ich ihre Mitteilungen wie WhatsApp-Nachrichten ablesen konnte. Manche ÄrztInnen und PflegerInnen redeten mit mir als wäre ich normalhörend, aber ich konnte sie nicht verstehen. Die Ungewissheit, ob ich je wieder hören würde können, lastete auf mir. Aber ich wusste ja auch nicht, ob ich je wieder nach Hause konnte, wieder sitzen oder gehen können würde. Zum Glück kamen die übrigen Funktionen im Rahmen der Rehabilitation durch intensives Training allmählich wieder zurück. Nur meine Ohren blieben taub.
Konnte man die Ursachen dafür ausfindig machen?
Nein, die genaue Ursache wurde nie festgestellt. Durch meine komplexe Krankheitsgeschichte konnte der Hörverlust ja vielfältige Ursachen haben. Überraschenderweise verliefen die Hörtests sehr gut, sodass man zuerst alles auf die psychosomatische Schiene schob. Aber als dann immer mehr Zeit verging ohne jegliche Besserung, wollte man nicht länger zuwarten und ich entschloss mich auf Rat meiner behandelnden ÄrztInnen zu einer beidseitigen Cochlea-Implantation, und zwar im Rahmen nur einer OP.
Wie war das Gefühl, als du wieder hören konntest?
Als nach sechs Wochen das erste Implantat funktionabel gemacht wurde, war ich überwältigt. Ich unterhielt mich gleich anschließend eine Stunde lang mit meiner Logopädin. Zwar klang der Ton etwas blechern und das Zuhören war anstrengend, ich brauchte noch maßgeblich das Mundbild, aber ansonsten gab es keine Beeinträchtigungen. Das war ein großartiges Erlebnis und ich dachte, wenn das zweite Implantat eingeschaltet wird, werde ich doppelt so gut hören. Das war dann eine Woche später der Fall und war zuerst eine Enttäuschung für meine hohen Erwartungen. Ich hörte nicht synchron, das eine Ohr hinkte sozusagen hinter dem anderen her, das bereits mehr Übung hatte. Mit der Zeit hat sich das gegeben und mittlerweile komme ich sehr gut mit beiden Implantaten zurecht. Aber ich habe auch viel geübt, Hörbücher gehört und ständig Unterhaltungen geführt.
Gibt es trotzdem noch Beeinträchtigungen?
Nur minimal. Hauptsächlich beim Telefonieren bzw. wenn jemand mit für mich ungewohntem Akzent spricht. Dann muss ich mich sehr konzentrieren, damit ich alles verstehe. Auch Englisch funktioniert noch nicht ganz so gut, einfach deshalb, weil mir die Übung fehlt. Das Hören mit Implantaten ist ja auch eine Trainingssache. Wenn Kindergeschrei manchmal sehr laut wird, höre ich das besonders grell und Musikhören ist ebenfalls problematisch. Im Autoradio höre ich die Nachrichten deutlich, aber wenn Musik kommt, schalte ich aus, da vernehme ich dann zu viele Störgeräusche. Ich glaube nicht, dass ich mir wieder einmal eine CD kaufen werde. Aber vielleicht kommt auch das noch.
Gibt es Situationen, in denen du deine Prozessoren lieber abnimmst?
Das passiert nicht sehr oft. Höchstens beim Arbeiten am Computer, wenn zu viel Hintergrundlärm herrscht, um mich gut konzentrieren zu können. Sobald ich meine Geräte ausschalte, macht sich mein Tinnitus wieder bemerkbar, da sind mir oft die Hintergrundgeräusche lieber. Der Tinnitus wird durch die Audioprozessoren neutralisiert. Aus all diesen Gründen würde ich nie wieder auf meine Implantate verzichten wollen. Am schönsten ist es, wenn ich ganz vergesse, dass ich welche habe. Zum Beispiel, wenn ich meine Freundinnen zum Kaffee einlade und wir alle fröhlich miteinander plaudern. Keine denkt dann daran, dass ich eine Hörbeeinträchtigung habe. Nicht einmal ich!