Verordnung. Ein Wort, das wir häufig mit Bürokratie assoziieren, mit Rechtstexten fern unseres Alltags. Doch in der Medizin garantieren Verordnungen die Sicherheit von Produkten, die wir eigentlich anwenden, um gesund zu werden und zu bleiben.
2010 lösten billige Brustimplantate der französischen Firma PIP einen internationalen Skandal aus. Sie waren nicht mit dem ursprünglich vorgesehenen Silikongel, sondern mit billigem Industriesilikon gefüllt worden. Teils massive gesundheitliche Schäden für viele Frauen und jahrelange Rechtsstreitigkeiten waren die Folge. Die EU erkannte – auch aufgrund des massiven öffentlichen Drucks – die Notwendigkeit, die bis dato bestehenden Regeln an den Fortschritt in der Medizintechnik anzupassen.
MDR – eine neue Medizinprodukteverordnung
2017 verabschiedete das Europäische Parlament die neue Medizinprodukteverordnung, kurz MDR (Medical Device Regulation) genannt. Sie sollte im Mai 2020 in Kraft treten, doch Covid-19 bedingt wurde dieser Termin auf 2021 verschoben. Die MDR gilt für alle Hersteller, die Medizinprodukte in Europa verkaufen. Auch für Hersteller von Cochlea-Implantaten, Mittelohrimplantaten und anderen Hörhilfen.
Sicherheit und Transparenz für alle
Da die MDR äußerst strenge Anforderungen an die Hersteller von Medizinprodukten stellt, profitieren wir alle von der MDR. Denn mit ihr verbessern sich die Sicherheit und Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten. Zusätzliche Transparenz soll die EU-weite zentrale Datenbank Eudamed bringen, die sowohl Patienten, die Öffentlichkeit als auch Angehörige der Gesundheitsberufe über Produkte informiert, die in der EU verfügbar sind. Der Vorteil: wer die Sachlage genau kennt, kann Entscheidungen besser treffen.
Auch dank strengerer Überprüfungen durch die „Benannten Stellen“, etwa den TÜV, die die Hersteller bei der Zulassung von Medizinprodukten hinzuziehen müssen, sollen medizinische Produkte sicherer werden. Die Benannten Stellen müssen laut der neuen MDR in der gesamten EU auch alle die gleichen Sicherheitsstandards erfüllen.
Eine weitere wichtige Neuerung: Die MDR umfasst nun auch Produkte, die eigentlich keinen ausschließlich medizinischen Zweck erfüllen, sondern für ästhetische Zwecke angewendet werden: farbige Kontaktlinsen etwa, oder Material, das für Schönheitsoperationen oder zur Entfernung von Tätowierungen eingesetzt wird.
Musterschüler aus Österreich
Bei der Umsetzung der EU-Medizinprodukteverordnung, für die die Hersteller ursprünglich drei Jahre Zeit hatten, erwiesen sich nur wenige Unternehmen als Musterschüler. Eines davon ist der österreichische Hörimplantathersteller MED-EL, der als einer der ersten Medizinproduktehersteller überhaupt und als erster Hörimplantathersteller weltweit für die neue MDR zertifiziert wurde. Für bestehende und neue MED-EL Nutzer bedeutet das, dass für sie der nahtlose Zugang zum Hören auch in Zukunft sicher geebnet ist.
Izzy Morgan, Regulatory Projects Manager bei MED-EL, die mit ihrem Team drei Jahre lang intensiv auf die MDR-Zertifizierung für MED-EL hinarbeitete, erklärt, warum sich das Unternehmen bereits 2016 entschlossen hatte, die MDR als einer der ersten Medizinproduktehersteller überhaupt umzusetzen. „Als europäischer Hersteller verlassen wir uns bei der globalen Vermarktung auf das europäische CE-Zeichen. Daher war es für uns von entscheidender Bedeutung, die Verordnung frühzeitig umzusetzen, um sicherzustellen, dass die Versorgung unserer Nutzerinnen und Nutzer mit Hörimplantaten sowohl in der EU als auch weltweit nicht unterbrochen wird. Dank eines sehr ausgereiften und robusten Qualitätssystems und unseres Fokus auf Qualität und Compliance war MED-EL zuversichtlich, dass wir sowohl unsere Produkte als auch unser Qualitätssystem rechtzeitig auf die neue Verordnung umstellen können. Dass uns das gelang, macht uns sehr stolz.“
Der Nutzen für Nutzer
Auf die Frage, ob NutzerInnen von MED-EL Hörimplantaten durch die Umsetzung der MDR einen Unterschied beim Produkt merken werden, meinte Morgan: „Die Patientensicherheit ist für MED-EL von zentraler Bedeutung. Als Hersteller von aktiv implantierbaren medizinischen Geräten haben wir stets Produkte nach höchsten Standards hergestellt und auf höchstem Niveau geprüft. Es war keine Änderung des Designs unserer Geräte erforderlich, um der neuen Verordnung zu entsprechen. Unsere Nutzerinnen und Nutzer erhalten weiterhin dieselben sicheren und wirksamen Geräte wie nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften. Sie werden daher durch die neue Verordnung keine Änderungen an den Produkten bemerken.“
Welchen Nutzen ziehen Nutzer von Medizinprodukten allgemein aus der MDR? „Alle AnwenderInnen von Medizinprodukten haben durch die neuen MDR- Bestimmungen Vorteile“, erklärt Morgan. „Die MDR umfasst ja nicht nur medizinische Geräte, sondern auch kosmetische Produkte wie Brustimplantate. Man hat erkannt, dass diese Produkte ebenfalls streng kontrolliert werden müssen, um zu gewährleisten, dass sie bereits bei der Markteinführung sicher sind. PatientInnen, die ein Implantat bekommen, erhalten außerdem eine individuelle „Implantatkarte“, mit der sie auf Informationen über ihr Implantat und den Hersteller zugreifen können. Auch die neue Eudamed Datenbank und das UDI System bieten mehr Transparenz und Information für die Öffentlichkeit über Produkte.“
Allen medizinischen Geräten wird eine eindeutige Identifikationsnummer (UDI System) zugewiesen, mit der Geräte in der Eudamed-Datenbank registriert werden. Dies hilft unter anderem bei der Rückverfolgung von Problemen, um medizinische Fehler zu reduzieren und Fälschungen zu erkennen und zu bekämpfen. „Durch die MDR profitieren PatientInnen sowie das medizinische Personal von weitaus mehr Transparenz und mehr Informationen über ihre verwendeten Geräte“, so Morgan.
Bürokratie Plus
Die MDR ist also nicht nur eine zusätzliche bürokratische Hürde. Natürlich, so die Expertin für regulatorische Angelegenheiten, sei mit einer Verordnung immer ein gewisses Maß an Bürokratie verbunden. Vor allem die Dokumentation habe bei der MDR einen hohen Stellenwert. Aber da bei Medizinprodukten, insbesondere Implantaten und lebenserhaltenden Geräten, ein Höchstmaß an Sicherheit, Qualität und Leistung gewährleistet sein muss, sei dieser Aufwand gerechtfertigt.
Kurzum, die neue Medizinprodukteverordnung setzt neue Maßstäbe für mehr Kontrolle und Sicherheit. Und verleiht dem Wort Verordnung einen positiven Anstrich – und zwar sicher!