Wenn man sich zum Cyborg umgerüstet hat und z.B. mit einem Mittelohrimplantat ausgestattet ist, dann gibt es überraschende Lernprozesse. Vor meiner zweiten Geburt versuchte ich immer alle Gespräche an mich zu ziehen. Manchen Gesprächspartner habe ich unpartnerschaftlich zugetextet oder den Erklärbären raushängen lassen. In Sachen Kundenbindung ist das für mich Vertriebler eigentlich geschäftsschädigend. Und in der Familienrunde hörte es sich immer so an, als ob ich das letzte Wort haben müsste. Aber ich bin doch ein ganz umgänglicher und humorvoller Typ, dachte ich zumindest.
Handelsvertreter mit Mittelohrimplantat
Mit meinem Audioprozessor kann ich ein Gespräch abgeben, ohne den Anschluss zu verlieren. Ich kann Fragen stellen und erhalte Antworten, die ich sogar unter schwierigen akustischen Umständen verstehe. Davon gibt es im Tagesverlauf eine ganze Menge.
In meinem bürgerlichen Leben bin ich seit dreiundzwanzig Jahren Handelsvertreter und es ist nicht so leicht, an manche Kunden heranzukommen. Wenn man keine spontane Gesprächsführung beherrscht, dann wirkt man wie ein steifer Vertreter aus dem falschen Milieu. Und so kam ich mir gegenüber einem potentiellen Kunden vor, der mich mehrfach abblitzen ließ, bis er mich eines Tages direkt im Auto anrief. Wenn jetzt etwas schief ging, brauchte ich es gar nicht mehr zu versuchen.
Spontane Wortwechsel mit Berliner Schnauze
Ein Auto ist ja bekanntlich eine fahrende Lärmbox, trotz der Akustikexperten, die alles tun, damit wir das Richtige hören.
„Herr Rocktäschel, sitzen Sie auf dem WC?!”, polterte der Kunde durch die Freisprechanlage. Ich bekam einen Riesenschreck, denn immer, wenn Herr Plautz, so hieß er auch noch, mich ansprach, klang es wie ein Vorwurf an mich oder meine Firma.
„Nein, ich sitze im Auto und habe nur die Scheibe etwas heruntergelassen.”
„Klang wie eine WC-Spülung. In Zeiten des Handys weiß man ja nie …!”, tönte es zurück.
„Da haben Sie recht! Und was kann ich Ihnen als Nächstes antun?”, fragte ich spöttisch, denn ich war mir sicher, das Richtige gehört zu haben.
„Vorbeikommen! Wir müssen was besprechen.”
„Besser, ich komme nicht nur vorbei, sondern direkt ran!”, wurde ich noch mutiger.
„Ich hab’ sogar ‘nen Kaffee für Sie”, tönte es mit einem Lachen aus dem Lautsprecher.
Das Eis war gebrochen, der Kontakt endlich hergestellt. Und die Geschäfte liefen.
Solch spontane Wortwechsel hatte ich mir schon lange nicht mehr zugetraut, aus Angst, etwas nicht richtig verstanden zu haben. Und wenn man dann mit Berliner Schnauze auf das Falsche reagiert, ist der Kunde futsch. Das geht ja nicht! Nun habe ich wieder Mut zum Humor. Und wer einmal mit einem Kunden zusammen gelacht hat, der hat ihn für sich gewonnen.
Lutz Rocktäschel, Berlin, 07.08.2019