Die sehr erfolgreiche Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum Basel ermöglicht einen informativen, familienfreundlichen und höchst spannenden Erlebnisrundgang durch eines unserer wichtigsten Sinnesorgane. Die beiden MuseumsmitarbeiterInnen Anna Pevzner (Projektleiterin) und Loïc Costeur (Leiter Geowissenschaften und Wirbeltierpaläontologie sowie Kurator der Ausstellung), erzählen in diesem Interview, wie sie sich mit dem Thema Hören auseinandergesetzt haben.
Vom Ohr sieht man außen nur die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang. Wie es innen weitergeht, zeigt Ihre sehr erfolgreiche Ausstellung, in der man ein Ohr sozusagen begehen kann. Wussten Sie über Ohren und deren Funktionen schon vorher gut Bescheid oder mussten Sie sich selbst intensiv mit dem Thema „Hören“ auseinandersetzen?
Anna Pevzner: Wir hatten bereits eine gute Wissensbasis, denn wir haben ja einen Fachmann im Team: Loïc Costeur forscht über die Evolution des Innenohrs bei Wiederkäuern. Wir wussten also schon über die Anatomie und die Funktion des Organs und der Knochen Bescheid und haben uns anhand von Fachliteratur zusätzlich mit dem Thema Hören auseinandergesetzt.
Sie zeigen in der Ausstellung, wie ein Ohr bei Mensch und Tier aufgebaut ist, wie Wirbeltiere hören, wie sie Töne produzieren oder wie sich das Ohr im Laufe der Zeit entwickelt hat. Sie erklären, warum beim Tauchen Druck im Ohr entsteht, was das Ohr mit Schwindel zu tun hat oder was passiert, wenn die kleinsten Knochen des Körpers – Hammer, Steigbügel und Amboss – nicht so zusammenwirken, wie sie sollten. War es schwierig, ein derart umfassendes und komplexes Thema wie das Hören so übersichtlich anzuordnen?
Loïc Costeur: Sobald man eine Idee von der Szenographie hat, wird man quasi durch die Themen geleitet. Wir wollten zum Beispiel einen Raum „Mittelohr“, wo wir eine Immersion im Körper anbieten konnten. Dann war es relativ einfach, die Themen über das Mittelohr zu finden: Funktion und Evolution, weil es total spannend ist, und wir im Haus die Kompetenzen dazu haben.
Auch das Thema Krankheiten wollten wir behandeln, weil es für die Gesellschaft sehr wichtig ist. Das alles wollten wir sozusagen im Inneren des Körpers vermitteln. Die größte Herausforderung war der Bau der Großmodelle und szenografischen Bauten aus Holz, Metall- und Stoff. Aber wir haben im Haus auch dafür Fachleute wie PräparatorInnen, Schreiner und Techniker. Und wir haben auch gute externe Firmen als Unterstützung gefunden.
Durch den ansprechenden Erlebnischarakter ist Ihre Ausstellung für alle Generationen anregend und spannend. Taststationen, Spiele, begehbare Modelle von Ohrmuscheln und übergroße Bogengänge begeistern vor allem auch Kinder. Welche Reaktionen bekommen Sie von Kindern nach einem Rundgang durch Ihre Ausstellung zu hören?
Loïc Costeur: Kinder haben in der Ausstellung besonders viel Spaß, sie dürfen hier sehr viel selber machen und entdecken, sogar ihr Gleichgewicht verlieren. Sie sagen oft, dass es ihnen nicht bewusst war, dass das Gleichgewicht auch im Ohr sitzt und sie sind immer begeistert zu erfahren, dass sie noch höhere Frequenzen als ihre Eltern hören können!
Das Ohr ist unser Gehör- und Gleichgewichtsorgan. Unterschätzen wir manchmal, was unsere Ohren alles leisten und wie sehr sie uns im Alltag unterstützen?
Anna Pevzner: Auf jeden Fall. Da diese beiden Organe meistens sehr gut funktionieren, machen wir uns zu wenig Gedanken und schützen sie zu wenig. Sprache entwickelt sich auch mit dem Hören. Uns müsste viel mehr bewusst werden, was für eine Leistung das Gehör und auch der Gleichgewichtssinn erbringen.
Loïc Costeur: Da unser Körper diese Leistungen automatisch vollbringt, müssen wir nicht daran denken, erst wenn wir Probleme bekommen, zum Beispiel Lagerungsschwindel oder Schwerhörigkeit, begreifen wir, wie wichtig diese Organe für unser Leben im Alltag sind. Darum müsste man versuchen, das Gehör besser zu schützen, zum Beispiel, indem wir nicht zu laute Musik hören.
Welches Lebewesen hat eigentlich den besten bzw. feinsten Gehörsinn? Und was passiert, wenn bei Tieren der Gehörsinn nicht funktioniert?
Loïc Costeur: Kein Lebewesen hat einen „besten“ oder „feinsten“ Gehörsinn. Alle Tiere sind an besondere Funktionen angepasst. Der Elefant hört in sehr tiefen Frequenzen (bis 5 Herz), viele Fledermäuse oder auch der Delphin in unglaublich hohen Frequenzen im Ultraschall Bereich (bis 200.000 Herz), weil er ein Biosonar hat und sich mit seinen Ohren orientiert.
Tiere, die nicht mehr gut hören, sind in Lebensgefahr. In der Natur hat man wenig Chancen, wenn die Sinne nicht mehr gut funktionieren. Das Tier hört den Räuber nicht mehr, oder ein Räuber hört seine Beute nicht mehr und kann sie nicht mehr jagen und nicht mehr fressen…
Wenn man eine Ausstellung zum Thema Ohr und Hören konzipiert, hört man selber dann gleich besser hin?
Anna Pevzner: Man berücksichtigt das Gehör mehr und weiß, wie wichtig und einzigartig es ist. Das Gehör wird aber deswegen nicht besser. Man weiß es bloß besser zu schätzen.
Wie lange wird die Ausstellung im Naturhistorischen Museum Basel noch zu sehen sein? Und wird sie danach auf Wanderschaft gehen?
Loïc Costeur: Die Ausstellung ist im Naturhistorischen Museum Basel bis am 30.06.2019 zu sehen. Sie wandert nicht und war nicht als Wanderausstellung konzipiert, aber die Stationen und gewisse Modelle werden trotzdem auf Anfragen an andere Institute übermittelt. Einige Stationen der Ausstellung werden zum Beispiel ab Ende September 2019 im Kulturama in Zürich gezeigt werden.