Für Richard Kersten und Josephine Seifert bedeutet das CI (Cochlea-Implantat) nicht nur „endlich wieder hören“, sondern auch: endlich wieder Musik machen und genießen. Der Berufsmusiker und die Cellistin erzählen über den langen Weg zum CI, über die großen Veränderungen und die Schwierigkeiten im Alltag.
Richard Kerstens Liebe zur Musik währt schon, seit er 15 Jahre alt ist: Seit damals spielt der heute 69-Jährige in verschiedenen Bands, singt, betreibt selbst ein Studio und nimmt Platten auf. Er ist Berufsmusiker und Produzent, die Musik seine große Leidenschaft. Doch 2009 verlor er plötzlich sein Gehör, er ertaubte auf einem Ohr. „Das war der reinste Horror. Von diesem Tag an war Musik für mich quasi gestorben“, erinnert er sich. Richard konnte nicht mehr stereo hören, die Musik hatte für ihn die Räumlichkeit verloren. „Das war so furchtbar, es hat mich fast in eine Depression getrieben.“ Er versuchte, seinen Hörverlust mit einem Hörgerät zu kompensieren, doch das klappte nur mit sehr mäßigem Erfolg: Richard zog sich schließlich aus seiner Profiband zurück.
Von einem CI als Hörlösung rieten ihm ÄrztInnen lange Zeit ab: Das gesunde Ohr und die elektronische Lösung, das würde sich nicht vertragen. Dazu kamen Geschichten von Nebenwirkungen, die Richard Kersten Angst machten. Erst ein Vortrag des renommierten Dr. Stöver aus Frankfurt konnte seine Bedenken aus dem Weg räumen und Richard entschloss sich nach acht Jahren zu einer Implantation.
Josephine: „Ich war immer abhängig von anderen“
Josephine Seifert hat ähnliche Erfahrungen gemacht: Die heute 21-Jährige spielt seit ihrem 4. Lebensjahr Cello. Als sie neun Jahre alt ist, ertaubte sie – wahrscheinlich aufgrund einer Entzündung – auf einem Ohr. Ein CI kam damals für sie nicht in Frage, denn einseitig Ertaubte wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht versorgt. Das stellte Josephine vor viele Hürden: Nach einem Schulwechsel nahmen die LehrerInnen in der neuen Schule kaum Rücksicht auf sie. Für soziale Kontakte nach dem Unterricht fehlte ihr oft die Energie, denn das Hören strengte sie zu sehr an.
An ihrer Liebe zum Cello hielt Josephine, die aus einer sehr musikalischen Familie stammt, aber weiterhin fest: „Ich habe weitergemacht, aber es war sehr schwierig“, erzählt sie. „Ich spielte im Orchester, allerdings habe ich mich nie selbst gehört. Ich war bei der Intonation abhängig von meiner Mama. Sie saß am gleichen Pult und wir haben uns über Blickkontakt verständigt.“ Auch wenn Josephine mit ihren Geschwistern im Ensemble auftrat, musste die Sitzordung auf ihre Hörschwäche abgestimmt werden. Die Cellistin störte sich daran, dass man sich ständig nach ihr richten musste – und manchmal war der Aufwand trotzdem umsonst.
„Ich war immer abhängig von anderen, ich konnte nie alleine spielen.“
Wie bei Richard Kersten dauerte es auch bei Josephine eine lange Zeit – sechs Jahre – bis sie schließlich mit einem CI versorgt wurde. Den entscheidenden Schritt setzt die junge Frau selbst: „Ich habe in einer Zeitschrift einen Artikel über das CI entdeckt. Da habe ich zu meiner Mama gesagt: Ich möchte das auch.“ Ihr HNO-Arzt war nicht begeistert und riet ihr, vorher noch ein spezielles Hörgerät zu testen. Doch Josephine war damit nicht zufrieden und blieb hartnäckig: Im Juni 2013 wurde sie schließlich auf einem Ohr versorgt.
Es geht nur mit Fleiß und Geduld
Für Josephine und Richard hat sich seitdem viel verändert:
„Ich habe es keine Sekunde bereut“, sagt Profimusiker Richard.
Beide erinnern sich noch gut an ihre Erstanpassung: Richard hatte bereits vier Tage nach der Implantation eine Frühanpassung. „Das war natürlich ein Schock. Das Hören ist ja nicht so, wie man es sich vorstellt“, sagt er. Für Josephine war der erste Eindruck „lustig“: „Ich habe nicht wirklich etwas verstanden. Aber ich bin dann mit meiner Mama spazieren gegangen an einer stark befahrenen Straße. Sie hat unauffällig die Seiten gewechselt und mich auf der CI-Seite angesprochen. Ich konnte zwar nicht verstehen, was sie gesagt hat, aber ich habe gemerkt, dass ich angesprochen wurde. Und das fand ich so phänomenal.
Mit viel Training fördern und fordern die beiden CI-Träger ihr Gehör: Richard übt fast täglich mit Audiolog, einem Programm, das auch in der Reha genutzt wird.
„Ich kann nur sagen: üben, üben, üben. Man sollte das implantierte Ohr fordern, indem man mit einem Audiokabel hört oder möglichst nah an Tonquellen geht, um hauptsächlich mit dem CI zu hören“, rät er.
Josephine hat zwei Jahre lang wöchentlich mit einer Logopädin trainiert, zuerst Sprachverständnis, später kamen musikalische Übungen wie Intonation oder Tonhöhen dazu. „Ich wollte üben, ich wollte sofort lernen“, sagt Josephine. Der Fleiß zahlt sich aus: Nach einem guten viertel Jahr konnte sie Sprache und die meisten Wörter verstehen.
Das Hören mit CI ist anders
Durch das CI hat sich das Musikhören für Josephine und Richard wieder verwandelt: Es ist nicht mehr eintönig, sondern gehaltvoll und viel räumlicher. Trotzdem gibt es für beide Herausforderungen: Wird Musik nur über das CI abgespielt – etwa mittels Audiokabel – ist es „richtig furchtbar“, wie Josephine erzählt. Richard berichtet ähnliches: „Hören nur über das Audiokabel ist für mich noch weit entfernt von dem, was man gutes Hören nennt. Aber in Verbindung mit dem gesunden Ohr ist es ein Riesenunterschied. Da wird das CI-Ohr offenbar vom guten Ohr so beeinflusst, dass es natürlich klingt: Ich kann Musik genießen, ich kann Stereo genießen.“
Für Richard ergibt sich aber ein weiteres Problem, das ihn vor allem als Sänger trifft: Je besser er mit dem CI hört, desto schwerer wird es, Töne richtig zu singen. „Höre ich nur über Audiokabel mit dem CI Musik, kann ich die Tonart oft nicht wiedergeben. Für das CI ist es wahrscheinlich schwierig zu definieren, was für einen Ton man gerade hört – manchmal liege ich bis zu fünf Töne daneben.“ Richard testet und übt auch das Singen mit dem Audiologprogramm. Manche Töne kann sich das Gehirn dann merken, andere kann er auch nach oftmaligem Üben noch nicht richtig singen. Hört er mit beiden Ohren, hat er das Problem nicht, aber bei großer Verstärkung, wie etwa bei Live-Auftritten überlagert das CI aber sein natürliches Hören und er müsste eigentlich auf das CI verzichten. „Dann fehlt mir jedoch wieder das räumliche Hören“, erklärt der Sänger. Trotz dieser Kritik am CI-Hören würde Richard niemandem abraten, sich implantieren zu lassen.
„Ich möchte nie wieder zurück zu diesem einseitigen Hören.“
Andere MusikerInnen machen Mut
Beide sind mit ihrer Entscheidung sehr zufrieden. Das wichtigste sei, Geduld zu haben. „Man darf nicht zu hohe Erwartungen haben“, sagt Josephine. Je länger man auf einem Ohr taub ist, desto schwieriger ist es, wieder hören zu lernen. Es braucht Zeit.“ Was Josephine Mut macht, ist auch, dass es weltweit viele MusikerInnen gibt, die ihre Leidenschaft mit dem CI ausleben.
Sie selbst hat nach ihrer Implantation wieder mehr Cello gespielt und war sogar zweimal bei einem internationalen Musikwettbewerb, den „Beats of Cochlea“ in Warschau. Hier spielen ausschließlich CI-TrägerInnen.
„Es war schön zu sehen, dass ich nicht die Einzige bin. Ich hatte bei mir in der Klinik immer das Gefühl, dass ich so eine Exotin bin mit Musik und CI. Es war schön zu sehen, dass es viele andere gibt, die auch Musik machen mit dieser Hörlösung.“