Ob der Dreck auf der zerbeulten Fahrertür wohl noch „echt aus dem Film“ ist? Nicolaswäre kein normaler Teenager, wenn er sich das nicht ganz aus der Nähe anschauen und prüfend mit dem Finger über den schlammverkrusteten, schwarzen Lack fahren würde. Bei dem ramponierten Geländewagen handelt es sich keinesfalls um eine Schrottkarre, die an der Mittelstation der Gaislachkogelbahn vergessen wurde – sondern eine wertvolle Originalrequisite aus dem jüngsten Bond-Film „Spectre“. Sie ist das erste, inoffizielle Anschauungsobjekt der „007 Elements“-Ausstellung hoch über Sölden.
„Das würde ich ja zu gern mal selbst ausprobieren“, sagt Nicolas Vater Bernd und inspiziert eine käfigartige Konstruktion mit Lenkrad auf dem Dach des Filmautos. Mit welchen Tricks wurde wohl noch gearbeitet, damit Schauspieler Daniel Craig die halsbrecherischen Manöver seines Film-Alter-Egos James Bond auch unversehrt überstehen würde? Um das herauszufinden, steigen die Botschafter wieder in die nächste Gondel und fahren auf den Gipfel.
Innsbruck zeigte sich von seiner besten Seite
Die beiden Bayern Nicolas und Bernd sind nicht die Einzigen, die sich für zwei sonnige Herbsttage auf den Weg nach Innsbruck – und zwischendurch nach Sölden – gemacht haben, um beim Treffen der Endlich-Wieder-Hören-Botschafter dabei zu sein. Torstenkam dafür extra aus Hamburg, Valerie aus Birmingham, Lutz und Ekkart aus Berlin. Auch aus dem Osten Österreichs reisten Botschafter und Botschafterinnen an: Andreas, Sarahund ihr Freund Ulrich aus Niederösterreich sowie Birgit aus Wels genossen schon auf der Busfahrt durch das Inntal die vorbeiziehende Berglandschaft.
„Diese Kombination aus Stadtleben und Bergen ist einmalig, das gibt es nur selten auf dieser Welt“,
schwärmt Birgit, die früher schon einmal hier gelebt hat. Innsbruck zeigte sich in diesen Tagen mit blitzblauem Himmel und einem klaren Blick auf die massive Nordkette auch tatsächlich von seiner schönsten Seite.
Dabei herrschte diesmal wegen der gleichzeitig stattfindenden Rad-Weltmeisterschaft besonders viel Trubel auf den Straßen. Hörakustiker Felix hatte für den nächsten Tag schon Freunde zu sich eingeladen, um die wichtigsten Wettbewerbe zu verfolgen und konnte darum nur beim ersten Teil des Botschaftertreffens in seiner Heimatstadt dabei sein.
So auch beim ersten Höhepunkt dieser Zusammenkunft, einer Reise in das menschliche Ohr, die das Audioversum mit seiner interaktiven und ästhetischen Ausstellung rund um das Hören möglich macht. Die Botschafter bestaunten die Animationen der Schallwellenverarbeitung im Innenohr, bogen simulierte Haarzellen, um Melodien zu erzeugen oder spürten die Vibrationen von Lärm auf der Haut.
Ein Abend ohne mühsame Erklärungen
Das anschließende Abendessen im Penthouse-Restaurant Adlers, hoch über den Dächern der Stadt, war eine gute Gelegenheit, sich in Ruhe über das Leben mit CI zu unterhalten und Erfahrungen zu teilen. Obwohl alle Gäste mit beiden Beinen in Beruf oder Ausbildung stehen, war spürbar, wie wertvoll auch für sie dieses selbstverständliche Zusammensein ist – ohne Erklärungen, ohne Nachfragen.
„Immerhin versteht niemand diese Situation so sehr wie andere CI-Nutzer. Ganz alltäglich werden die Implantate wohl noch länger nicht sein, da tut Austausch einfach gut“,
sagt Nicolas Vater Bernd.
Während humorvolle Anekdoten von Pleiten, Pech und Pannen das Eis zwischen bereits bekannten und neu hinzugekommenen Teilnehmern schnell brachen, waren die beachtlichen Erfolge mancher Botschafter auch wertvolle Inspirationen: Ekkart, der einen kommunikationsintensiven Beruf ausübt und regelmäßig an seinem Sprachverstehen arbeitet, spornte durch seine Erzählungen andere an, künftig ebenfalls wieder mehr Zeit in das Hörtraining zu investieren.
Andreas wiederum hält es für wichtig, dass Hören oder Nicht-Hören nicht immer zum alles bestimmenden Thema wird. Mit seinem Verein für Schwerhörige ermöglicht er niederösterreichischen Betroffenen regelmäßige kulturelle Teilhabe – sei es bei Kino-Abenden, Kabarettbesuchen oder Städtetrips. „Wir wollen doch das Leben genießen wie alle anderen auch.“
Die Gefühlswelt vor und nach dem CI
Botschafterin Elisabeth ist wohl das beste Beispiel dafür, dass CI und Kultur sich nicht ausschließen. Sie reiste am nächsten Tag direkt nach Sölden, denn zuvor wurde sie noch in der Heimatstadt Salzburg gebraucht: für die Vernissage ihrer eigenen Kunstausstellung, die stilistisch sehr unterschiedliche Werke aus 25 Jahren ihres Schaffens zeigt.
„Man sieht an den Bildern nicht nur meine künstlerische Entwicklung über diese Zeit, sondern auch, wie ich nach vielen Jahren das Hören wiedererlangt habe“, erzählt Elisabeth bei der Fahrt auf die Bergstation des Gaislachkogels.
„Malen war damals mein Zugang zur Welt. Doch obwohl ich nur helle Farben genutzt habe, wurden alle Bilder schrecklich dunkel.“
Nicht nur derart offene Gedanken zum Leben vor dem CI teilen die Botschafter bei ihren Zusammenkünften miteinander. Notfalls auch eine Ersatz-Batterie für den Prozessor: „Bei mir piept es ja gerne in den unmöglichsten Situationen, zum Beispiel während wichtiger beruflicher Besprechungen“, sagt Valerie und bietet Birgit darum schon mal ihre Notration für alle Fälle an.
Torsten versetzt derweil seine Gondel-Genossen ins Staunen, als er mit Blick auf die steile Downhill-Strecke am Gaislachkogel von seinen eigenen wilden Mountainbike-Abfahrten mit den erwachsenen Kindern erzählt – inklusive mehrerer harter Stürze. Selbst seine zwei Cochlea-Implantate schützen den Journalisten aus Hamburg offenbar nicht vor jugendlichem Leichtsinn.
Ungetrübte Sicht macht gute Laune
Nicht nur die Zeit in der Gondel vergeht wortwörtlich im Flug, sondern auch der gemütliche Plausch bei einem Kaffee oder Gläschen Sekt auf 3.048 Metern Höhe. Von der Terrasse des gläsernen Ice Q-Bergrestaurants aus genießen die Botschafter ein einzigartiges Panorama: Wie eine Perle glitzert in der Ferne der Stubaier Gletscher, die schroffen Spitzen der Südtiroler Dolomiten zeichnen sich ab. „Heute ist auch einer von vielleicht fünf Tagen im Jahr, an denen man von hier oben aus sogar die Zugspitze sehen kann“, sagt Christoph Nösig, verantwortlich für eine Vielzahl von Events bei den Bergbahnen Sölden.
Nösig führt die Gruppe anschließend persönlich durch die Bond-Ausstellung „007 Elements“, die sein Unternehmen gemeinsam mit den Filmproduktionsfirmen EON Productions und den Metro-Goldwyn-Meyer Studios in dieser harschen Umgebung realisiert hat. Erstmals bekommen hier Fans der Kultfilmreihe – und auch unsere Botschafter – die weltweit einzige Möglichkeit, direkt am Schauplatz hinter die Kulissen von „Spectre“ zu blicken und der Entstehung einer solchen Großproduktion nachzuspüren.
„Die alten Bond-Filme sind für mich Kult.“
Stoff bietet die fünfeinhalb Minuten lange Szene aus Sölden genug: Darin schlittert Bond nach einer irren Verfolgungsjagd über die verschneite Gletscherstraße mit einem völlig zerstörten Kleinflugzeug schlussendlich durch einen Heustadl, um „Bondgirl“ Lea Seydoux aus den Fängen der Bösewichte zu befreien. „Ich bin ja eher ein Fan von den ganz frühen Bond-Filmen. Die sind noch etwas ruhiger, für mich aber Kult“, gibt Botschafter Andreas zu. „Trotzdem bin ich schon auch sehr gespannt, wie diese Szene hier entstanden ist.“
Dazu dringen die Botschafter nun immer tiefer in die abenteuerliche Welt des britischen Spions ein. „Jeder Raum erzählt eine eigene Story aus den vergangen 24 Filmen“, sagt Christoph Nösig. Tatsächlich: Von einer bunkerartigen, leicht klaustrophobischen Atmosphäre gleich zu Beginn bis zum runden „Screening Room“ wandeln die Botschafter fast wie durch die stimmungsvollen Sets der Filmreihe.
Die Eiswelt von „Spectre“ bringt die Besucher zum Frösteln
Die Ausstellung berührt alle Sinne; Dunkelheit und gezielte Lichtpunkte wechseln sich ab und auch leichtes Frösteln gehört hier dazu: Damit der umgebende Permafrost nicht beeinträchtigt wird, hat es in der gesamten Ausstellung nämlich konstant ein Grad Celcius.
Wie sensibel unsere BotschafterInnen gerade für die Agenda des gesunden Ohres sind, wird wieder einmal deutlich, als bemerkt wird, dass die Videoinstallationen in recht hoher Lautstärke abgespielt werden. Ein wertvoller Hinweis, den Nösig bei den Verantwortlichen zur Sprache bringen wird.
Im interaktiven Teil der Ausstellung können die EWH-BotschafterInnen nun noch im eigenen Tempo die beeindruckenden Täuschungsmanöver von digitalen Filmanimationen aber auch die tatsächlich verwendeten Gadgets in den vergangenen Produktionen erforschen. Hier wird deutlich, was zunächst gefehlt hat: Den Reiz der Bond-Filme bilden ja nicht nur schöne Frauen, wunderbare Filmsets, exotische Landschaften und verdammt viel Action. Es ist auch die grandiose Technik.
BotschafterInnen mit Bond-Qualitäten
Die Technik macht den sowieso schon durchtrainierten und bestens ausgebildeten Spion noch schlagkräftiger und hebelt die Gesetze der Natur zuweilen aus. Schon in einem der ersten Filme erhält Bond zum Beispiel ein Mikro-Atemgerät, mit dem er unmöglich lange Strecken tauchen kann. Eine Parallele zu unseren BotschafterInnen, die dank eiserner Disziplin eine technische Hörlösung nahezu perfekt beherrschen lernten und sich auf diese Weise einen ganzen Sinn zurückeroberten, sollte an dieser Stelle erlaubt sein.
Auch wenn sie ihre eigene Leistung natürlich viel pragmatischer sehen, wie der Austausch bei einem typisch österreichischen Mittagessen auf einer nahen Almhütte zeigt. „Sicher, das Leben mit CI ist nicht immer einfach, das muss man ganz klar sagen“, sagt Nicolas Vater Bernd zum Beispiel. Musizieren sei für seinen Sohn möglich, aber nicht so locker und leicht wie für Normalhörende.
„Beim Schwimmen nehme ich mein CI zur Sicherheit trotzdem lieber ab, obwohl es mit dem Schutz natürlich gehen würde“, sagt auch Valerie. „Klar würde ich lieber ganz einfach so hören können, das wird wohl fast jeder CI-Träger sagen“, findet Elisabeth. Aber dass sie nun wieder alles versteht und hören kann, obwohl sie so viele Jahre von Stille umgeben war – das soll ihr Bond einmal nachmachen.